Wie beurteilen Sie als Experte für HR-Management und Equal Pay die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie?
Wenn man politisch und gesellschaftlich gleichberechtigte Bezahlung von Männern und Frauen verfolgt, wenn man glaubt, dass der Markt das nicht von alleine regeln kann, ist diese Richtlinie ein guter Ansatz. In erster Linie zielt sie ja auf das bereinigte Gender Pay Gap ab, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei gleicher Berufswahl und gleichem Arbeitszeitmodell. Würden Unternehmen das freiwillig hinbekommen, wäre das bereinigte Gender Pay Gap schon heute längst nicht mehr so hoch. Allerdings: Die Richtlinie bedeutet auch mehr Aufwand, mehr Bürokratie und möglicherweise mehr Kosten.
Warum braucht es für mehr Gleichberechtigung mehr Transparenz?
Das ist wie in jedem anderen Bereich auch: Wenn unethisches Verhalten nicht entdeckt wird, ist der Anreiz für Unternehmen schlicht größer, unethisch zu handeln. Es geht darum, das Verhalten der Arbeitgebenden sichtbar zu machen und dadurch nachhaltig zu verändern. Das klassische Argument, Frauen würden schlechter verhandeln und so die Arbeitgebenden letztlich weniger kosten, wird durch Transparenz deutlich erschwert.
Sie werten ungleiche Bezahlung als unethisches Verhalten?
Als was denn sonst? Es ist unethisch, Frauen und Männer für gleiche Arbeit und Leistung ungleich zu bezahlen.
Wie smart ist es noch in einer Zeit, in der immer mehr Menschen auf werteorientierte Arbeitgebende schauen, Frauen und Männer ungleich zu bezahlen?
Ich halte das für absolut nicht smart. Der alte Spruch „Wer billig kauft, zahlt doppelt“ gilt meiner Ansicht nach auch beim Entgelt. Die Freude darüber, einen Beschäftigten günstig „eingekauft“ zu haben, verfliegt relativ schnell, wenn der Mensch das irgendwann doch mitbekommt. Weil das sehr schnell demotivierende Effekte hat. Solange wir einen Arbeitgebermarkt hatten, war das relativ egal. Aber mit wachsendem Wandel Richtung Arbeitnehmermarkt ist dieses Verhalten total kontraproduktiv. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wer schlau ist, wartet nicht auf das Inkrafttreten der Richtlinie, sondern verschafft sich gegenüber Wettbewerbenden im War for talents einen Vorteil, indem er schon jetzt für maximale Gehaltstransparenz sorgt. Und eins ist klar: Die Unternehmen müssen sich auf mehr Transparenz einstellen. Die neue Richtlinie, gepaart mit den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der demografischen Entwicklung, wird die Rechte der Beschäftigten massiv stärken.
„Man muss damit rechnen, dass die Nivellierung der Lohnlücken Widerstände hervorrufen wird.“
– Claus Vormann
Wie schlimm ist diese Erkenntnis für Unternehmen: Merken Sie ein Stöhnen im Markt?
Ja, ich merke ein Stöhnen. Das kann einerseits darauf hindeuten, dass manche Unternehmen seit vielen Jahren einige Leichen im Keller haben und wissen, dass sie an ihren Vergütungssystemen endlich etwas ändern müssen. Andere Unternehmen stöhnen aber vor allem aus Sorge vor steigendem bürokratischem Aufwand.
Kann die EU-Richtlinie noch verändert werden?
Nein. Die Inhalte müssen nun in jeweils nationales Recht umgewandelt werden. Dabei dürfen die Länder zwar über die Richtlinie hinausgehen, aber nicht dahinter zurückfallen. Allerdings wissen wir, dass Deutschland in diesen Dingen oft nicht schnell ist. Spätestens im Mai 2026 muss die Richtlinie auch bei uns in Kraft treten.
Größere Unternehmen müssen ihre Gender Pay Gaps künftig offenlegen. Dabei dürfte es diese Gehaltslücken dann eigentlich gar nicht mehr geben.
So schnell werden wir nicht bei einer „Eins zu eins“-Gerechtigkeit landen. Die Unternehmen kommen aus einer mehr oder weniger ungerechten Historie. Diese Lücken an- oder auszugleichen, wird schon eine ganze Zeit dauern. Zumal man damit rechnen muss, dass die Nivellierung der Lohnlücken auch Widerstände hervorrufen wird.
Inwiefern?
Wir wissen aus verschiedenen Umfragen und Studien, dass Lohnangleichungen in den seltensten Fällen über Lohnerhöhungen stattfinden. Mit anderen Worten: Damit Frauen künftig genauso viel verdienen wie Männer, werden in der nächsten Zeit wohl vor allem die Gehälter von Männern eingefroren. Macht man das lange genug, gleicht sich das Gender Pay Gap aus, ohne dass es die Unternehmen viel Geld kostet.
„Laut einer Umfrage, die wir gerade durchgeführt haben, stehen erst 13 Prozent der Unternehmen tatsächlich für Transparenz in Sachen Vergütung.“
– Claus Vormann
Allerdings sieht die Richtlinie bislang keine Sanktionen vor. Ein zahnloser Tiger.
Das ist richtig, konkrete Sanktionen werden in der EU-Richtlinie nicht genannt. Aber die Länder sind angehalten, im Zuge der nationalen Umsetzungen entsprechende Durchsetzungsmechanismen aufzuführen. Es wird sich also erst noch zeigen müssen, wie die konkrete Ausgestaltung in nationales Recht aussehen wird. Doch ich bin sicher, dass das neue Gesetz mehr Zähne bekommen wird als das bisherige Entgelttransparenzgesetz.
Trotzdem: Am besten erst einmal gar nichts tun?
Das sehe ich nicht so. Im Mai 2026 wird die Richtlinie so oder so in Kraft treten. Wie schon bei der DSGVO haben die Unternehmen nun zwei Möglichkeiten: Die nächsten drei Jahre erst mal gar nichts tun und dann hektisch werden, oder jetzt schon anfangen, sich in Ruhe vorzubereiten und sich auf diese Weise bereits heute auf dem Arbeitsmarkt wertvolle Vorteile gegenüber Wettbewerbenden zu schaffen.
Was raten Sie konkret?
Analysiert jetzt euer Gehaltssystem. Ich würde schätzen: Es dauert drei bis sechs Monate, um das eigene Gehaltssystem einmal sauber zu durchleuchten und tatsächlich vergleichbare Stellenbeschreibungen zu definieren. Jobtitel allein reichen da sicher nicht mehr. Man sollte sich in einer Excel-Tabelle genau anschauen, wie die Durchschnittsgehälter von Männer und Frauen aussehen, ob und wie groß bereinigte und auch unbereinigte Gender Pay Gaps aussehen. Liegen sie eher bei 3 Prozent oder bei 30 Prozent? So sieht man sehr schnell die Lücken und den jeweiligen Handlungsdruck, welche Lücken zuerst angegangen werden müssen. Dabei kann die sogenannte 4-Felder-Matrix helfen, also das Clustern etwa nach Impact und Aufwand. Bei hohem Impact und wenig Kosten würde ich raten, sofort ranzugehen.
Sollten gut aufgestellte Unternehmen jetzt schon damit werben – nach dem Motto „Wir zahlen nach EU-Richtlinie“?
Laut einer Umfrage, die wir gerade durchgeführt haben, stehen erst 13 Prozent der Unternehmen tatsächlich für Transparenz in Sachen Vergütung. Eine entsprechende Positionierung ist also ein echter Wettbewerbsfaktor im Kampf um Arbeitskräfte. Der Kickertisch ist es nicht mehr.